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Ich mochte das Wasser schon als kleines Kind

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Arianna wurde von ihren Eltern beim Wasserball angemeldet.

Es ist Dienstagnachmittag. Die große Uhr in der Schwimmhalle Neustadt zeigt 17.30 Uhr. Aus dem Wasser im Schwimmbecken gucken blaue, weiße und schwarze Badekappen und grün-gelbe Badehosen. Dazwischen ein einziger lila-schwarzer Badeanzug. Er gehört Ariana.

Ariana ist 13 Jahre alt und vor vier Jahren mit ihren Eltern aus dem Iran nach Deutschland gekommen. Seit zwei Jahren spielt sie Wasserball beim SV Halle. Heute trainiert sie gemeinsam mit den anderen Spielern der U14-Mannschaft.

Das Training beginnt, wie in jeder anderen Sportart auch, mit einer sorgfältigen Erwärmung: Einschwimmen in verschiedenen Lagen wird vom Trainer angeordnet. Es folgt ein Steigerungsschwimmen, wobei bunte Kegel jene Zonen markieren, in denen die Schwimmer ihr Tempo steigern sollen.

Eines ist schnell klar: Wer Wasserball spielen möchte, der sollte lange und gut schwimmen können...

Beim Wasserball wird überwiegend im Kraulstil geschwommen, da dieser sehr effektiv ist und hohe Geschwindigkeiten erreicht werden können. Dazwischen kommen häufig einige Züge auf dem Rücken, damit die Spieler besser sehen können, ob ein Mitspieler sie anspielen möchte. Auch beim Kraulen wird der Kopf über Wasser gehalten, um eine bessere Übersicht über das Spielfeld zu haben. Ist ein Spieler im Ballbesitz, kann er den Ball führen, indem er ihn während der Schwimmzüge mit den Armen oder auch dem Kopf berührt, ähnlich dem Dribbeln beim Fußball. Dazu wird der Kraulstil leicht abgeändert: Der Spieler führt die Arme dicht am Körper vorbei und winkelt sie über Wasser an. So kann er den Ball auch vor angreifenden Gegenspielern verteidigen. Noch wichtiger als die Arme sind aber die Beine. Durch das „Wassertreten“ können sich die Spieler an einer Position über Wasser halten. Besonders wichtig ist das für den Torhüter: Er darf die eigene Hälfte des Spielfelds nicht verlassen und muss immer bereit sein, sein Tor zu verteidigen. Wenn ein Ball auf sein Tor zukommt, verstärkt er den Beinschlag so, dass er sich bis zum Bauchnabel aus dem Wasser herausdrücken kann. Das sieht schon von Weitem sehr anstrengend aus.

Nach dem Einschwimmen kommen die Bälle ins Spiel. Ein Wasserball ist in diesem Fall nicht etwa ein großer mit Luft gefüllter Ball in quietschigen Farben. Vielmehr ähnelt der Ball äußerlich einem Volleyball, nur hat er stattdessen eine eher gummiartige Oberfläche mit vielen Rillen und etwas mehr Gewicht. Zumindest die quietschige Farbe ihres Namensvetters haben einige der Wasserbälle. Die U14 trainiert zum Beispiel mit komplett gelben Bällen.

Das Training wird mit Wurfübungen fortgesetzt. Jeder Spieler bekommt einen Partner zugeteilt, mit dem er die Zuspiele übt. Geworfen und gefangen wird der Ball übrigens nur mit einer Hand. Da der Wasserball eine nasse Oberfläche hat, ist dabei Präzision gefragt.

Ariana darf bei der Zuteilung der Sportpartner nicht zimperlich sein, schließlich ist sie das einzige Mädchen zwischen all den Jungen.

Die Frage, ob das nicht manchmal komisch sei, verneint sie. Außerdem berichtet sie: „Die Jungen sind alle sehr lieb zu mir. Sie geben mir auch immer Tipps. Eigentlich sind sie, als ich hier angefangen habe, gleich auf mich zugekommen und haben mir ihre Hilfe angeboten.“ Auch von den Trainern habe sie viel Unterstützung erfahren, sagt sie und dann gibt zu, dass sie ziemlich stolz drauf ist, das einzige Mädchen zwischen all den Jungen zu sein. Und das kann sie auch sein, denn beim Wasserball gibt es trotz strenger Regeln intensive Zweikämpfe, bei denen blaue Flecke an der Tagesordnung sind. Ariana macht das nichts aus.

Und was sagt ihre Familie zu ihrem Hobby? Schließlich kommt sie aus einem Land, in dem es nicht für alle Frauen normal ist, sich unbeschränkt in der Gesellschaft bewegen zu können.

„Meine Eltern haben mich selbst hier angemeldet, obwohl sie wussten, dass hier fast nur Jungen sind. Sie haben gesagt, das sei nicht so wichtig. Wichtiger sei, dass ich in einem Verein sein und diesen Sport ausprobieren kann.“, erklärt Ariana. „Sie unterstützen mich auch, indem sie mich zum Beispiel zu Spielen und Turnieren fahren.“

Wettkämpfe im Wasserball gibt es aufgrund der kleinen Anzahl an Teams in der Liga ihrer Jungend nicht wöchentlich, aber doch in regelmäßigen Abständen. Dann muss allerdings auch ein Stück gefahren werden: „Wir hatten zuletzt Spiele in Magdeburg und Gera. Die Termine werden dann immer in unserer WhatsApp-Gruppe angekündigt“, erklärt die 13-Jährige. „In Magdeburg habe ich sogar ein Tor gemacht“, grinst sie.

Auffällig beim Wasserball ist die enorme Ähnlichkeit zu einer in Deutschland weitaus bekannteren Sportart: Man könnte meinen, dass sie dem Handball ähnelt, doch tatsächlich gibt es die meisten Parallelen zum Fußball. So rufen sich die Spieler der U14 auch immer „Schieß!“ zu und nicht „Wirf!“, wenn jemand den Ball im Tor versenken soll.

Der Legende nach sei Wasserball 1870 in England durch ein Komitee erfunden worden, welches die Regeln des beliebten Fußballs auf ein Spiel im Wasser übertragen sollte. Das ist aber nur eine von vielen Entstehungsgeschichten des Wasserballs. Sie alle tragen sich aber in England zum Ende des 19. Jahrhunderts zu.

Seitdem hat sich die Sportart fortlaufend weiterentwickelt. Heute werden den Spielern sogar feste Positionen zugeteilt, die verschiedene Aufgaben mit sich bringen. Eine Mannschaft besteht aus 13 Spielern, von denen immer einer im Tor spielt und sechs auf dem Feld. Es gibt zum Beispiel den Center, der sich wenige Meter vorm gegnerischen Tor aufhält und auf Zuspiele wartet, um entweder selbst Tore zu erzielen oder den Ball an besser positionierte Mitspieler zu verteilen. Das will der Centerverteidiger der gegnerischen Mannschaft mit allen mitteln verhindern. Nicht selten kommt es dabei zu harten Zweikämpfen, für die die Verteidiger eine Strafe bekommen. Dann werden sie für 20 Sekunden „herausgestellt“, das bedeutet, sie müssen in dieser Zeit am Spielfeldrand ausharren und dürfen nicht ins Geschehen eingreifen. Sammelt ein Spieler während eines Spiels drei dieser „persönlichen Fehler“ an, so wird er vom Spiel ausgeschlossen. Die Trainer versuchen deshalb, die Verteidigerposition während eines Spiels immer neu zu besetzen. Der Centerverteidiger wechselt dann mit einem der Spieler auf den Außen- oder Halbpositionen. So kommt es, dass außer dem Torhüter niemand in einer Mannschaft eine wirklich feste Position hat. Um da den Überblick zu behalten, werden schon die Jüngsten taktisch geschult.

Auch Arianas Trainer holt vor dem nächsten Teil des Trainings zunächst eine große Taktiktafel, auf der das Spielfeld eingezeichnet ist. Er macht farbige Kreuzchen für die Spieler und zeichnet mit Pfeilen, die Wege ein, die sie schwimmen sollen.

Dann wird geübt – viel geübt: Abschlüsse, Zuspiele, Angriffssituationen gegen Abwehrspieler und Torhüter... Und das die ganze Zeit ohne festen Boden unter den Füßen.

„Wasserball ist schon anstrengend“, sagt Ariana, „doch ich mache es sehr gern!“ Und auf die Frage, wieso es unbedingt Wasserball sein sollte, antwortet sie: „Ich mochte das Wasser schon als kleines Kind und wollte unbedingt immer etwas mit Wasser und Schwimmen machen. Und dann habe ich in Halle mit dem Wasserball angefangen.“ Die 13-Jährige ist sich sicher, dass ihr das Training nicht nur bei ihrer sportlichen Entwicklung weitergeholfen hat, sondern auch beim Erlernen der deutschen Sprache. Ariana spricht nahezu perfekt Deutsch, aber das verwundert nicht, wenn man beobachtet wie motiviert und diszipliniert sie das Training angeht.

Disziplin scheint hier besonders wichtig: Es ist laut in der Halle, das Wasser plätschert unermüdlich vor sich hin, die Stimmen zweier gleichzeitig trainierender Gruppen mischen sich mit denen der Badegäste und jedes Mal, wenn ein Ball auf das Wasser aufschlägt, gibt es ein lautes „Platsch!“. Hinzu kommt die warme, feuchte Luft in der Halle und im Wasser bewegen sich fast ausschließlich gleichfarbige Badehosen und Köpfe mit ohrenschutzbesetzten Kappen. Kappe... Hut ab vor den Trainern! Sie haben es nicht einfach, ihre Kommandos deutlich zu geben und die Spieler im Wasser zu erkennen – außer bei Ariana, sie fällt natürlich auf!

Auch im abschließenden Trainingsspiel, bei dem sie sichtlich Spaß hat, wenn sie die Verfolgung der Jungen aufnimmt und den Ball erobert, aber auch mal eine Strafe kassiert.

Nach dem Abpfiff des Trainingsspiels darf jeder Spieler noch einen „Freiwurf“ beziehungsweise „Strafstoß“ ausführen – auf Tore, die übrigens auf dem Wasser schwimmen. Ihre unteren Streben sind dazu mit Matten versehen.

Ariana trifft genau in den Winkel. Doch wenn ein Ball mal am Tor vorbeigehen sollte, ist für Sicherheit gesorgt: Vor jedem Training oder Spiel werden Netze rund um das Spielfeld gespannt, die verhindern sollen, dass der Ball quer durch die Schwimmhalle fliegt. Schließlich kann so ein Ball sehr schnell werden, wenn er straff geworfen wird.

Die U14 des SV Halle schwimmt zum Ende des Trainings noch ein paar Bahnen aus. Bevor es unter die Dusche geht, gibt es noch einige taktische Anweisungen vom Trainer, die die Jugendlichen sich für die Zukunft merken sollen. Dann sind eineinhalb Stunden Wasserball-Training vorbei.

Ariana ist traurig, denn es war ihr vorletztes Training bei den Wasserballern des SV Halle. Über den Sommer wird sie mit ihren Eltern nach Frankfurt am Main umziehen, da ihr Vater dort einen guten Job gefunden hat. Doch sie ist fest entschlossen, auch in Frankfurt weiterhin Wasserball zu spielen.

Jetzt geht sie aber erst einmal nach Hause und isst Abendbrot. Das hat sie sich verdient. Ich bin allein vom Zusehen erschöpft. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Wasserball-Nachwuchs nach diesem Training gut schlafen wird.

 

Josefine Schenk

 

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